Heute kann es sich keine Marke mehr erlauben, Barrierefreiheit als Nischenthema abzutun oder als lästige Pflicht zu betrachten. Die existierenden unsichtbaren Hürden schaden nicht nur der Reputation von Marken und Unternehmen, sondern grenzen viele Menschen aus, die aufgrund einer Beeinträchtigung bestimmte digitale Angebote nicht wahrnehmen können. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten und Tools, Webseiten und Webservices sowohl barrierefrei als auch markenkonform zu gestalten und so die Brand Performance zu steigern. Im Interview berichten Torsten Michel, CTO von wirDesign, und Georg Messeritsch, Managing Director von AccessiWay, warum Barrierefreiheit selbstverständlich in der digitalen Markenführung sein sollte und wie Marken davon profitieren.
Barrierefreiheit und Markenkonsistenz müssen sich nicht ausschließen. Durch gezielte Anpassungen im Design, in der Markenkommunikation und der Implementierung technologischer Lösungen können beide Aspekte erfolgreich integriert werden. Das erfordert ein bewusstes und strategisches Vorgehen, das sowohl die Bedürfnisse aller Nutzer als auch die Markenidentität berücksichtigt. Dafür arbeiten wir auch mit verschiedenen Partnern zusammen, wie z. B. AccessiWay. So können wir bereits im Analyse- und Entwicklungsprozess auf die Expertise unserer Partner zurückgreifen. Dazu gehören Tests durch Fachexperten, User Tests sowie KI-basierte Tools, um Websites, Webanwendungen und mobile Anwendungen barrierefrei zu machen.
Usability und Accessibility würde ich nicht in einen Topf werfen, aber das sind zwei wichtige Bestandteile der digitalen Barrierefreiheit: Da gibt es auf der einen Seite die Gesetzesvorlage (WCAG) und die mathematischen Faktoren, die eine technische Barrierefreiheit gewährleisten und die man in einem Audit testen kann.
Der Usability liegt eine ganz andere Denkweise zugrunde. Schaut man sich z. B. bei einer Banking-App den Userflow an, könnte man diese Customer Journey zwar accessible machen. Aber ob das Markenerlebnis dabei nicht zu kurz kommt, das findet man durch User Tests heraus. Bei dem Thema Barrierefreiheit sollte man ganzheitlich denken und neben den Marketingleuten z. B. auch die Rechtsabteilung an den Tisch holen, denn nicht nur der Checkout-Prozess sollte barrierefrei sein, sondern auch die Produktbeschreibungen oder AGBs in leichter Sprache verfasst. Durch die Arbeit an barrierefreien digitalen Services wird häufig ein Stein ins Rollen gebracht, der Barrieren im gesamten Unternehmen abbaut und zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Themas führt. Ich habe Unternehmen erlebt, in denen gesamte Kommunikationsprozesse umgestellt wurden und Awareness-Trainings für Barrierefreiheit in das Onboarding mit aufgenommen wurden. Accessibility und Usability wurden hier Teil der gelebten Unternehmenskultur und eine Selbstverständlichkeit.
Um auf deine Frage zurückzukommen: Klar bewegen wir uns ständig im Spannungsfeld einer konsistenten Marke und der digitalen Barrierefreiheit. Bei uns als Marken- und Designberatung steht natürlich die Marke im Fokus, die Idee und das Design haben den Vorrang und die Barrierefreiheit muss sich daran anpassen. Allerdings lässt sich beides gut vereinbaren und muss gar kein Widerspruch sein. Die barrierefreie Gestaltung ist bei uns inzwischen normal.
Es macht vieles einfacher, wenn schon die digitalen Komponenten barrierearm programmiert werden und man bereits im Design überprüft, ob z. B. ein Button barrierefrei ist.
Barrierefreiheit ist nicht nur ethisch und sozial gerechtfertigt, sondern bietet handfeste wirtschaftliche Vorteile, indem sie beispielsweise den Kundenkreis erweitert. Der europäische Verband EBU, der sich für die Interessen sehbehinderter Menschen einsetzt, schätzt, dass alleine in Europa 30 Millionen sehbehinderte Menschen leben. Durch barrierefreie Dienstleistungen und Produkte können Unternehmen diese umfangreiche Zielgruppe erreichen. Viele barrierefreie Maßnahmen verbessern die Benutzerfreundlichkeit für alle Nutzer, nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Besonders ältere Menschen, die z. B. mit nachlassender Sehkraft zu kämpfen haben, profitieren hier. In diesem Sinne ist eine frühzeitige Investition in barrierefreie Strukturen Zukunftssicherung. Denn mit der alternden Bevölkerung in vielen Ländern steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Menschen im Laufe ihres Lebens auf Barrierefreiheit angewiesen sein werden.
Starke Marken haben eine starke Haltung. Dazu gehört auch, die gesellschaftliche Verantwortung anzunehmen und Inklusion und Zugänglichkeit zu schaffen, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Das verbessert nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern stärkt auch das soziale Gefüge. Als zertifiziertes Gemeinwohl-Ökonomie-Unternehmen verstehen wir es als Teil unserer Verantwortung für die Gesellschaft, eine barrierefreie Gestaltung mit einer markenkonformen Customer Experience zu verbinden. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir bei der Gestaltung digitaler Angebote keine Menschengruppe durch nicht durchdachte Gestaltung oder Programmierung ausschließen.
Nicht zuletzt die rechtlichen Anforderungen: In vielen Ländern, einschließlich der EU und den USA, gibt es Gesetze, die Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen und bei Dienstleistungen vorschreiben. In Deutschland wird ab 28. Juni 2025 mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz die Barrierefreiheit für zahlreiche Unternehmen Pflicht. Wer all diese Vorschriften einhält, vermeidet rechtliche Konsequenzen und fördert ein positives Image.
Unternehmen und Marken stehen hier vor einer Grundsatzentscheidung: Will ich mein Angebot für alle zugänglich machen, oder nicht? Es ist wichtig zu verstehen, dass es hier um eine nicht zu unterschätzende Zielgruppe geht. Die offiziellen Zahlen sagen, dass 25 bis 30 % aller Kund*innen eigentlich eine barrierefreie Anpassung benötigen. Und bei diesen Zahlen gibt es sicherlich noch eine hohe Dunkelziffer an Personen, die sich nicht als Behinderte registrieren lassen. Es reicht als Barriere schon aus, wenn ein Formularfeld nicht eindeutig beschriftet ist, z. B. steht dort lediglich »Feld« und nicht »Vorname« oder »Nachname«. Und schon ist der Checkout-Prozess gescheitert. Keine Buchung, kein Kauf, ein enttäuschter Kunde, eine verlorene Kundin.
Ein weiterer Punkt, der für ein Invest in digitale Barrierefreiheit spricht, ist die Auffindbarkeit im Web: Eine höhere Compliance wird von Suchmaschinen belohnt, es verbessert sich das SEO-Ranking.
Die Nutzerinnen und Nutzer erleben Verunsicherung, Ärger und Enttäuschung über sich selbst und diese negativen Gefühle werden mit der Marke verbunden. Viele nicht barrierefreie Onlineshops sind massiv von der negativen Aufladung ihrer Marke betroffen, was dazu führt, dass Betroffene woanders einkaufen. Sie surfen in einer Blase von accessible Anbietern und kehren nicht zurück. Je stärker die Behinderung, desto stärker ist auch diese Bubble. Schwierig wird es für alte Menschen, die nicht mehr so leicht den Anbieter wechseln können oder wollen.
Nein, denn viele dieser unsichtbaren Barrieren werden im Website Tracking und bei Marketing-Entscheidungen nicht berücksichtigt, es fehlt häufig das Feedback aus der Community. Das führt zu der trügerischen Sicherheit, dass sich ja keine oder keiner beschwert hat. Und wenn sich doch mal ein Kunde oder eine Kundin meldet, gibt es 99 weitere, die nichts gesagt haben. Welche immensen Werbeanstrengungen müssen erbracht werden, um das wieder wettzumachen! Bei Checkout-Abbrüchen z. B. wird die wahre Ursache nicht erkannt. Statt die App barrierefrei zu machen, werden falsche Maßnahmen ergriffen, falsche Budgetentscheidungen getroffen. Oder Marketinggelder falsch verwendet. Insgesamt eine sehr kostspielige Nicht-Investition.
Es gibt die Möglichkeit, verschiedene Accessibility-Tools einzusetzen. Mit KI-basierten Overlays beispielsweise lässt sich die Barrierefreiheit deutlich verbessern. Prinzipiell sollte natürlich die Grundstruktur barrierefrei sein, eigentlich sollte man also gar kein solches Website-Overlay brauchen.
Eine Ergänzung dazu: Hier muss man schauen, dass man mit dem richtigen Provider zusammenarbeitet, da einige Overlays z. B. Screenreader beeinflussen können, was absolut kontraproduktiv wäre. Für alle, die nicht mal schnell einen Relaunch machen können, ist ein Overlay eine gute Lösung, damit kann man bereits eine bis zu 80 %ige Barrierefreiheit erreichen. Lediglich 48 Stunden lernt z. B. unsere KI, danach kann sie bereits die Website optimieren und schnelle Abhilfe schaffen bei Kontrasten, Schriften und der allgemeinen Lesbarkeit. Viele User sind auf die Tastatur-Navigation angewiesen und darauf, dass die Überschriftshierarchien H1 bis H6 auch sinnvoll eingesetzt werden – und nicht aufgrund von ästhetischen Gesichtspunkten vermischt werden. Auch hier kann das Tool schnell helfen und Inhalte »aufräumen«.
1. Verbesserte Markenwahrnehmung: Wenn eine Marke aktiv Inklusion und Barrierefreiheit fördert, wird sie oft als sozial verantwortlich und ethisch wahrgenommen. Dies kann das Vertrauen und die Loyalität der Kunden stärken, insbesondere unter denjenigen, die großen Wert auf soziale Verantwortung legen.
2. Erhöhte Kundentreue: Marken, die barrierefreie Produkte und Dienstleistungen anbieten, können eine stärkere Bindung zu Menschen mit Behinderungen und deren Familien und Freunden aufbauen. Diese Gruppen schätzen Unternehmen, die sich um ihre spezifischen Bedürfnisse kümmern, was zu einer erhöhten Kundentreue führen kann.
3. Differenzierung vom Wettbewerb: Inklusion und Barrierefreiheit können als Differenzierungsmerkmale dienen, die eine Marke von ihren Mitbewerbern abheben. In Branchen, in denen viele Produkte oder Dienstleistungen ähnlich sind, kann dieses Engagement einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen.
4. Erweiterung der Zielgruppe: Durch die Berücksichtigung von Barrierefreiheit erreichen Marken nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch ältere Menschen und andere Gruppen, die von leichter zugänglichen Produkten und Dienstleistungen profitieren. Dies erweitert die potenzielle Kundenbasis erheblich.
5. Positive Medienberichterstattung: Unternehmen, die sich für Inklusion und Barrierefreiheit einsetzen, erhalten oft positive Medienberichterstattung, die das öffentliche Image weiter verbessern kann. Dies kann zu einer verstärkten Sichtbarkeit und positiven Assoziationen mit der Marke führen.
6. Einfluss auf Investitionsentscheidungen: Investoren und Stakeholder sind zunehmend an nachhaltigen und ethisch verantwortlichen Unternehmen interessiert. Marken, die sich für soziale Belange einsetzen, können daher leichter Investitionen und Unterstützung anziehen.
7. Förderung von Innovation: Das Streben nach Barrierefreiheit kann zu Innovationen in Produktdesign und Dienstleistungen führen. Solche Innovationen können die Marke als führend in Technologie und Kreativität positionieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Apple.
Wenn wir Webapplikationen entwickeln, basieren diese auf Modulen, die bereits Barrierefreiheit berücksichtigen. Zukünftig werden wir diese Module schon während der Entwicklung mit einem definierten Workflowprozess auf den Prüfstand stellen. Dabei verfolgen wir immer einen pragmatischen Ansatz und orientieren uns an den Möglichkeiten und Bedürfnissen unserer Auftraggeber. Je nach Erfordernis wird dabei durch Fachexperten als auch durch Menschen mit Einschränkungen getestet. Und natürlich, ohne den USP der Marke aus dem Blick zu verlieren.
Ein Invest in Barrierefreiheit ist für alle Unternehmen und Marken sinnvoll, nicht nur für die, die durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betroffen sind, das 2025 in Kraft tritt. Eine barrierefrei gestaltete Website hilft nicht nur Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Klare Designs, gut strukturierte Inhalte und eine nachvollziehbare Nutzerführung sind Benefits für alle User und führen zu einer höheren Reichweite und einer starken Brand Performance.
Am Anfang steht ein unverbindliches Beratungsgespräch oder fachlicher Impuls. Danach folgt eine Analyse des Ist-Zustands der digitalen Touchpoints. In einem gemeinsamen Workshop klären wir die Rahmenbedingungen und identifizieren mögliche »Baustellen«. Wir beraten hier ganz individuell und berücksichtigen sowohl die Wünsche und Besonderheiten jedes Unternehmens als auch die Markenidentität, um eine starke Brand Performance zu erzielen.