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Keine Angst vor Nachhaltigkeit! Berichtspflicht als Chance für Unternehmen und Marken.

Lesezeit: 6 Minuten

Die kommende Berichtspflicht treibt viele Unternehmen um und wird von einigen immer noch als lästige Pflicht gesehen. Im Gespräch mit Eva Schmider und Alexander Rossner von der Nachhaltigkeitsberatung »Zukunftswerk« haben wir diskutiert, welche ersten Schritte sinnvoll sind und welche Chancen die erstmals verpflichtenden EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) für Unternehmen und Marken bieten.

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, eine nachhaltigere Wirtschaft und Gesellschaft in Europa zu fördern. Dazu trägt die seit Januar 2023 in Kraft getretene »Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)« bei. Mit der »EU-Taxonomie« und der EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Sustainable Finance Disclosure Regulation) ist so ein Aktionsplan zur nachhaltigen Finanzierung entstanden, der zu mehr Transparenz, Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit von Nachhaltigkeitsinformationen führen, aber auch Kapitalströme in Richtung nachhaltige Investitionen fördern soll. Die damit verbundenen Berichtspflichten fordern große Anstrengungen von den betroffenen Unternehmen wie auch von den beratenden und umsetzenden Dienstleistern in der Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte. Mit den jüngst veröffentlichten »European Sustainability Reporting Standards (ESRS)« beginnt nun eine neue Phase der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die aber auch Fragen aufwirft.

Wir haben jüngst die Nachhaltigkeitsberichte für Syntegon und DIC Asset realisiert und verantworteten Konzeption und Design der Berichte. Unterstützend stand uns hier die Nachhaltigkeitsberatung »Zukunftswerk« zur Seite. Wir unterhielten uns mit Eva Schmider, verantwortlich für den Bereich Nachhaltigkeit, Strategieentwicklung und Nachhaltigkeitsberichterstattung bei Zukunftswerk, und Alexander Rossner, Mitgründer von Zukunftswerk.

 

thorsten_greinus Thorsten Greinus, wirDesign

ESG, CSRD, ESRS, GRI, EU-Taxonomie und dann auch noch das »Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz« haben große Wellen geschlagen. So langsam glätten sich die Wogen. Wie nehmt ihr die aktuellen Veränderungen im Reporting wahr? Täglich Brot oder Realsatire?

 

alexander-rossner Alexander Rossner, Zukunftswerk

Es wird jetzt täglich Brot. Ich finde es ehrlicherweise gar nicht so satirisch, sondern absolut begrüßenswert, dass die verschiedenen Normengesetzgeber dazu übergegangen sind, endlich Regeln zu schaffen für die Leistungen von Unternehmen jenseits der finanziellen Komponente, also auch für ökologische, gesellschaftliche und soziale Themen. Denn wir müssen hier mal ehrlich sein: Das wurde bisher doch sehr beliebig gehandhabt, die meisten Unternehmen wollten sich bislang lediglich in einem guten Licht darstellen.

Mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die nun für alle gleichermaßen gelten, wird diesem Wildwuchs Einhalt geboten und mehr Transparenz geschaffen.  

 

eva_schider Eva Schmider, Zukunftswerk

Dem kann ich mich nur anschließen. Die Unternehmen erwachen jetzt alle aus ihrem Winterschlaf, es wird vielen bewusst, dass es nun ernst wird. Ich bin stolz darauf, Teil dieser Veränderung sein zu dürfen und den Unternehmen beratend zur Seite zu stehen. Und vor allem, ihnen die Angst zu nehmen vor den 298 Seiten ESRS.

Was mich derzeit besonders beflügelt, ist die Tatsache, dass die Möglichkeiten für Greenwashing minimiert wurden. Die Unternehmen haben einfach keine Chance mehr, sich da irgendwie »durchzumauscheln«, jetzt geht es ernsthaft ans Eingemachte. Wer hier nicht den Startschuss gehört hat – der übrigens schon vor einigen Jahren gefallen ist – der muss nun gucken, wie er da durchkommt.  

 

thorsten_greinus Thorsten Greinus, wirDesign

Viele (neue) Pflichten, aber auch viele Chancen – denn Unternehmen können über die klassische Berichterstattung hinaus beweisen, dass Nachhaltigkeit nicht nur Pflichterfüllung ist, sondern dass dahinter viel mehr steckt. Hier bieten sich viele Anknüpfungspunkte, die helfen, eine Marke glaubwürdiger und langfristiger zu positionieren, z. B. in Richtung Employer Branding. Beschäftigt ihr euch auch mit dem, was »hinter« dem Bericht liegt? Welche Chancen seht ihr? 

alexander-rossner Alexander Rossner, Zukunftswerk

Meiner Ansicht nach ist der Bericht ein Nebenprodukt. Es geht darum, Rechenschaft abzulegen, jenseits von Greenwashing und CEO-Prosa. Jedes Unternehmen sollte einen Leistungsbeitrag in Richtung Gesellschaft und Umwelt im Visier haben. Neben dem Aufbau von Brand Reputation geht es vor allem um Good Corporate Citizenship. Bislang war es so, dass diejenigen Unternehmen, die darüber Transparenz geschaffen hatten, nicht unbedingt einen Wettbewerbsvorteil erlangten. Wenn jetzt die Spielregeln in den jeweiligen Größenklassen einheitlich sind, schafft es Orientierung. Wer ist gut und wer ist weniger gut?

Der Nachhaltigkeitsbericht als »Lernzielkontrolle«. Ohne Strategie geht nichts.

 

eva_schider Eva Schmider, Zukunftswerk

Viele Unternehmen merken jetzt, dass sie noch gar keine Strategie haben und zu den geforderten Zahlen nicht berichten können. Dann kommt das große Fragezeichen – »Woher soll ich denn diese Infos haben?« In der Grundschule gibt es die Lernzielkontrollen. So ähnlich ist auch der der Nachhaltigkeitsbericht ein Check-up: Hat die Strategie oder das Vorhaben, das man plant, überhaupt Fundament? Oder scheitern wir bereits bei dem Versuch, tiefer zu schauen? In diesem Sinne ist der Nachhaltigkeitsbericht ein Mäntelchen für das große Nachhaltigkeitsthema. Vorgelagert muss die große Strategie sein und der Nachhaltigkeitsbericht ist die Darstellungsform dieser Strategie. 

 

thorsten_greinus Thorsten Greinus, wirDesign

Der ESRS enthält hier und da einige Formulierungen, die durchaus Fragen aufwerfen. Zum Beispiel: »Nur obligatorisch, wenn wesentlich«. Richtig deutlich ist es nicht formuliert, teilweise auch in einer schlechten Übersetzung ins Deutsche. Wie akribisch muss man sein? Ist es am Ende ein Abhaken von bestimmten Parametern? Wie fängt man am besten an und wie tief muss man einsteigen?  

Jedem sollte bewusst sein: Was sind die Pflichtinhalte? Was muss ich gemäß der CSRD darstellen?

 

eva_schider Eva Schmider, Zukunftswerk

Wer verstanden hat, was die Pflichtanforderungen sind, die der CSRD aufgibt und der ESRS umsetzt, wer verstanden hat, wie die Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen ist und wer sich die Arbeit gemacht hat, den ESRS 1 und 2 einmal von A bis Z durchzulesen, der ist sehr gut aufgestellt. Der Aufbau ist immer derselbe und identisch zum GRI. Wir haben den Managementansatz mit den entsprechenden Zielen, aber wie die ausgelegt werden, da hat man einen gewissen Spielraum. 

Mein Rat: Ich würde mir nicht die Arbeit machen, jeden themenspezifischen Standard komplett durchzulesen, sondern erst dann, wenn ich weiß, dass diese Themen wesentlich sind für das Unternehmen. Ein Unternehmen, das bspw. mit Bodenverschmutzung noch nie in Berührung gekommen ist und auch nicht in Berührung kommen wird, wird nach dem Lesen des jeweiligen Themenstandards mehr Fragen als Antworten haben. Nicht alle Themen des ESRS sind für jedes Unternehmen von Bedeutung, zudem gibt es unternehmensspezifische Themen, welche der ESRS überhaupt nicht abbildet. 

 

alexander-rossner Alexander Rossner, Zukunftswerk

Als gelernter Anwalt möchte ich ergänzen: »Ein Blick ins Gesetz erspart Geschwätz.« Wenn man sich die CSRD und die EU-Taxonomie in der Originalquelle durchliest, dann wird einem eigentlich alles klar, was mit diesem Gesetz bezweckt ist und was man tun muss.

Die Regelwerke sind »Work in Progress« – aber nicht zu unterschätzen.

Im Vorwort des European Green Deal und der EU-Taxonomie steht es bereits: Das wird nicht der letzte Stand, sondern ein kontinuierlicher Prozess sein, es ist fortwährende Arbeit. Mein Appell an die Unternehmen lautet: Unterschätzt das nicht, das wird anspruchsvoll, es wird prüfungspflichtig, das kommt in den Lagebericht. Wer sich mit Wirtschaftsprüfern ausgetauscht hat, was an Prüfungsdichte auf die Unternehmen zukommt, der schlackert mit den Ohren. Denn jetzt ist Schluss mit Freiwilligkeit, es ist Pflichtbestandteil des Lageberichts, es muss belastbar und nachprüfbar sein.  

 

thorsten_greinus Thorsten Greinus, wirDesign

Bevor man sich an die CSRD und die ESRS macht, muss man sich mit der Wesentlichkeitsanalyse grundsätzlich und vordergründig befassen. Denn gerade mit Blick auf die Entwicklung einer langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie hat die doppelte Wesentlichkeit strategische Relevanz. Wir sprachen bereits davon: Die Wesentlichkeitsanalyse ist das Fundament für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sind die Ergebnisse zugleich die künftigen Differenzierungsfaktoren einer Marke? 

eva_schider Eva Schmider, Zukunftswerk

Die Basis für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist die doppelte Wesentlichkeit. Nach Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse ist man sehr gut aufgestellt, diese allerdings – ACHTUNG – geht ordentlich in die Tiefe. Das ist nicht »larifari«, da geht es ums Eingemachte. Das, was man als wesentlich definiert hat, das sind die berichtspflichtigen Inhalte. Und erst dann kann man loslaufen und in den themenspezifischen Standards forschen, was genau an Infos offenzulegen ist. Wer das erst nachgelagert macht, sammelt im schlimmsten Falle aufwendig Informationen zusammen, die gar nicht gebraucht werden. Und die Arbeit wurde umsonst gemacht. 

Das gilt auch für potenziell wesentliche Themen und deren Datenbeschaffung. Wenn ein Unternehmen bspw. nun anfängt, Daten zu Energieverbräuchen zu sammeln, nach der Wesentlichkeitsanalyse jedoch feststellt, dass das Thema »Energie« gar keine Rolle spielt, dann war der vorgelagerte Prozess der Datensammlung überflüssig. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Datensammlung oftmals viel Zeit und auch interne Kapazitäten benötigt, weshalb meine Empfehlung ganz klar lautet: erst die Wesentlichkeitsanalyse durchführen, danach prüfen, was ich offenlegen muss und dann die Daten beschaffen.  

Stakeholderanalyse, Wesentlichkeitsanalyse, Umsetzung im Reporting 

 

alexander-rossner Alexander Rossner, Zukunftswerk

Der allererste Schritt ist, sich selbst die Frage zu stellen: Wer sind eigentlich meine wesentlichen Akteure, wen muss ich fragen, was an mir wesentlich ist? Ich muss also die richtigen Leute fragen, um die wesentlichen Themen zu identifizieren und die richtigen Inputs zu bekommen. 

Akteursanalyse als kostenlose Markforschung zu strategisch wichtigen Themen 

 

Dieses Thema behandeln viele Unternehmen gerade aus dem Mittelstand noch stiefmütterlich: »Ach, müssen wir denn wirklich unsere Kunden und unsere Lieferanten fragen, Input von der Stadt oder den Aufsichtsbehörden einholen? Das wollen wir eigentlich nicht, wir als die Manager wissen doch selbst am besten, was wichtig ist und was nicht …« ABER das ist der völlig verkehrte Ansatz. Die Innensicht ist doch sehr beschränkt. Es ist nicht nur eine Pflichtübung, sondern eine große Chance zu erfahren, was wollen die anderen eigentlich von mir? Eine unentgeltliche Mafo über strategisch wichtigste Themen. Und die meisten angesprochenen Stakeholder geben bereitwillig Auskunft! Wir haben Aufsichtsratsvorsitzende großer Unternehmen befragt, die sich eine halbe Stunde Zeit genommen haben, da kommen wertvolle Einblicke. 

 

thorsten_greinus Thorsten Greinus, wirDesign

Die Stakeholder- und Akteursanalysen bieten wertvollen Input für die Marke und die strategische Ausrichtung, sie geben Impulse, wie man die Zielgruppen noch besser bedienen kann. Trotz dieser offensichtlichen Chancen: Nehmt ihr Kritik an der Regulatorik seitens eurer Mandanten wahr? Müsst ihr Überzeugungsarbeit leisten? 

 

alexander-rossner Alexander Rossner, Zukunftswerk

Ich stimme dir absolut zu: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird ein wichtiges Differenzierungskriterium werden mit klaren Wettbewerbsvorteilen für die, die es richtig tun. Wir haben heute ganz unterschiedliche Ausgangslagen. Wir haben viele Mandanten, die intrinsisch motiviert sind, andere fühlen sich überfahren und sind sehr kritisch. Gerade wenn sich eine schlechte Informationslage mit Voreingenommenheit paart, dann wird es schwierig.  

 

thorsten_greinus Thorsten Greinus, wirDesign

Damit verbunden sind aber auch große Investitionen, ein Unternehmen, das bisher nicht berichtspflichtig war, muss zuerst die Rahmenbedingungen schaffen, muss Daten erheben, passendes Personal einstellen oder Dienstleister beauftragen, da schlackern den Unternehmen doch erstmal die Ohren oder erkennen alle Verantwortlichen die Relevanz? 

 

eva_schider Eva Schmider, Zukunftswerk

Ohne ein Invest an Zeit und Geld geht es nicht. Das ist auch kein Thema, was erst seit zwei Monaten auf dem Tisch liegt, es begleitet uns schon die letzten Jahre, und wer permanent mit Scheuklappen durch die Gegend gelaufen ist, der bekommt jetzt ein Problem.  

Guter Rat ist teuer, schlechter unbezahlbar.

 

alexander-rossner Alexander Rossner, Zukunftswerk

Ich verstehe unsere Pflicht als Berater darin, die Unternehmen dafür zu sensibilisieren, dass es keine lästige Pflichtübung ist, sondern eine gigantische Chance, ihre Strategie so zu optimieren, dass sie zukunftsfähig ist. Ich hatte neulich ein Gespräch mit einem CEO eines Unternehmens mit 52.000 Mitarbeitenden in 60 Ländern. Auf die Frage nach seiner klimapolitischen Strategie sagte er mir, dass er sämtliche Prozesse elektrifizieren wolle. Auf einen Einwand hin, dass das ja sehr teuer würde, meinte er »täte ich es nicht, kostete es mich die Existenz«. 

Ich bin davon überzeugt: 

Künftig wird sich die Wettbewerbsfähigkeit nicht daran entscheiden, ob Unternehmen ein paar Cents beim Einkauf sparen, sondern sie wird sich vollumfänglich an der Nachhaltigkeit orientieren.

Wer hier gut ist, wird die Nase vorn haben.  

 

Thorsten Greinus, wirDesign

Liebe Eva, lieber Alexander – vielen Dank für das Gespräch! 

 

Wollen wir uns zu diesem Thema austauschen?

Thorsten Greinus

Thorsten Greinus

Creative Direction